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Letzte Worte zu Arielle, die Meerjungfrau

Letzte Worte zu Arielle, die Meerjungfrau

Scheußlich! GRÄSSLICH! Nur wenige Minuten nach Filmbeginn schrumpfte mein Wortschatz bedenklich zusammen, um Disneys Realverfilmung von Arielle, die Meerjungfrau zu beschreiben. Ich schämte mich gar, ob meiner primitiven Einsilbigkeit. Grausam. GRUSELIG! Wem noch die genaue Definition von “Geschmacklos” fehlt, hier bekommt ihr sie so visuell unästhetisch wie zuletzt nur bei Tom Hoopers Cats auf die Augen geschmiert.

Originalbild: The Little Mermaid / © Walt Disney Pictures (2023)

Der Meme gewordene Ausspruch What’s wrong with your face?” hätte gut offizieller Untertitel von Arielle, die Meerjungfrau werden können. Derart merkwürdig falsch wirkend auf digitale Körper montierte Gesichter wie bei den Unterwassermenschen dieser neuen Disney-Realverfilmung habe ich selten zuvor gesehen. Kein Wunder, dass wir sie in den Trailern kaum mal Bruchteile von Sekunden aus der Nähe sehen - und Arielle fast nur an der frischen Luft, wo das Uncanny Valley nicht ganz so hart zuschlägt. Obwohl Farbgebung, Beleuchtung und digitale Weichzeichner dem Look auch hier keinen Gefallen tun.

Menschenwesen unter Wasser haben doch 2018 schon bei Aquaman zumindest etwas besser ausgesehen. Wohl auch weil die Protagonist*innen dort nicht immer überhell gleichmäßig ausgeleuchtet waren und die Farbpalette insgesamt zwar für DC-Verhältnisse bunt, gemessen an realem Bunt aber immer noch desaturiert stilisiert gehalten wurde, sich die vielen CGI-Elemente so nahtloser ins Gesamtbild einfügen ließen. Was Disney nun gemacht hat, kommt halbgelungenen Deepfake-Versuchen aus dem Internet gleich - als wären die real gedrehten Elemente überhaupt gar nicht für einen nachträglichen Face-Swap konzipiert gewesen.

Es ist aber nicht nur die Beleuchtung und Farbgestaltung, die Arielle von 2023 so mau aussehen lässt. Am meisten berauben mich unstimmige Animationen der von echten Schauspielern performten, mit Computereffekten transformierten Fischleute um die Illusion, Zeuge fleischgewordener Zeichentrickfantasie zu sein. Kopf- und Gesichtsbewegungen wirken immer mal wieder minimal nachziehend, auch leicht deplatziert agierend, wie autark in ihrer eigenen Welt gedreht. Der Rest vom Körper dagegen ist meist übermäßig flüssig animiert, versprüht damit gar nicht den Realismus-Vibe, den uns die Grundoptik insgesamt geben soll. Hier. Passt. Nichts. Zusammen. Es fehlte den Machern einfach an Gefühl. Das schließt auch Arielles sprechende Fisch-, Flug- und Schalentier-Kumpan*innen ein, bei denen Regisseur Rob Marshall sich wohl nicht recht entscheiden konnte, ob er sie wie echte Tiere oder Cartoon-Wesen gestaltet haben wollte. Irgendwas in der Mitte war hier die Lösung - und eine denkbar schlechte obendrein.

Um mich aber nicht nur an technischem aufzuhängen, möchte ich außerdem meinen Unmut über die mangelnde Freude am Gestalten an sich äußern. Schon Avatar: The Way of Water fand ich enttäuschend fantasielos, dafür dass wir dort einen fremden Planeten sehen, bei dessen Flora und Fauna ja im Prinzip ein Feuerwerk faszinierender Geschöpfe hätte erschaffen werden können. Stattdessen gab’s ungefähr so in etwa die Korallenriffe wie wir sie von der Erde kennen, irgendwie so ziemlich das Gleiche wie unsere irdischen Wale in größer und einen bösen Riesenhai, der ebenfalls aus unseren heimischen Ozeanen vor Millionen Jahren hätte importiert worden sein können.

Was James Camerons Pandora aber zweifelsohne geboten hat, sind strahlend bunte, lebendig wirkende, detailreiche Unterwasserlandschaften, mit so noch nie zuvor gesehenem CGI-Wasser und einer überzeugenden Melange aus Computereffekten, revolutionärem Motion-Capture und praktisch umgesetzten Realaufnahmen. Kurzum: Avatars Exkurse unter die Wasseroberfläche sind wenigstens schön und prächtig anzusehen.

Im Direktvergleich dazu ist die Welt von Arielle in der neuen Version nicht nur arm an Freude, Fantasie und verspielten Details, die den Zeichentrickfilm von 1989 überhaupt so erinnerungswürdig gemacht haben. Sie stellt sich auch nach Aspekten einer glaubwürdigen Ozeanwelt absolut ernüchternd dar. Verblasste Farben sind der einzige erkennbare Versuch, die Realverfilmung optisch wenigstens etwas real wirken zu lassen.

Die echten Sets am Festland machen sich übrigens auch nicht besser. Sie erwecken den Eindruck, der Film habe bestehende Fassaden und Zimmer aus Disneyland-Freizeitparks als Kulissen verwendet. Und dann auch noch solche, die eher alibimäßig charakterlos ausgestaltet wurden, um Übergänge zwischen Fahrgeschäft und Warteschlange einer Attraktion zu überbrücken oder Mitarbeitertoiletten und Geräteschuppen des Reinigungspersonals zu verkleiden. Jeder potenzielle Spaßfaktor aus den noch übrig gebliebenen Gesangseinlagen der Zeichentrickvorlage ersäuft in der resultierend drögen, abstoßenden Gesamtästhetik völlig.

Stichwort Gesangseinlagen. Ei, ei, ei, ei,… ich glaube mir wird in diesem Leben niemals mehr jemand glaubhaft verklickern können, dass Lin-Manuel Miranda der große Musical- und Songkünstler unserer Zeit wäre. Und dass, obwohl ich sein In the Heights als Film sehr mochte! Abseits davon ist die Liste der hochgepriesenen, im Vorfeld als nächstes Meisterwerk gefeierten Musikarbeiten Mirandas, die ich im Nachhinein ernüchternd bis grässlich fand, inzwischen auf bedenkliche Länge angewachsen. Negativer Höhepunkt des Ganzen ist eine peinliche Rapeinlage vom eigentlich sehr geschätzten Daveed Diggs mit Awkwafina, die für Arielles Realverfilmung unter anderem neu hinzugefügt wurde. Um nicht zu viele, zu fiese Worte darüber verlieren zu müssen, fasse ich es mal schmeichelhaft so zusammen: CRINGE!

Aber Daniel, hast du nicht auch etwas positives über Disneys neuen Arielle-Film zu sagen? Habe ich! Halle Bailey ist zuckersüß und darf mich jederzeit gerne im Badeurlaub mit ihrem Sirenengesang entführen. Eine tolle Arielle! Und weil sich ultrakonservativ bis rassistische Leichtmatrosen über diesen Satz garantiert enorm aufregen werden, schreibe ich ihn mit Genuss noch einmal: EINE TOLLE ARIELLE. Melissa McCarthy(s Gesicht) spielt Hexe Ursula außerdem so überzogen gut, dass sie in Momenten erahnen lässt, wie eine gelungenere Realverfilmung des Zeichentrick-Klassikers doch hätte funktionieren können.

Hier hört’s dann aber schon auf des Guten. Erzählerisch wird die von Disney ohnehin bereits simplifizierte, auf kindertauglich fröhlich umgedichtete Ursprungsgeschichte von Hans Christian Andersen äußerst sprunghaft zusammenhangslos neu erzählt. Einzelne Szenen kamen mir vor wie reines Abarbeiten ikonischer Momente des Zeichentrickvorgängers, wobei sowohl erzählerisch als auch stilistisch jede Form von fließenden Übergängen vergessen wurde. Schlüsselmomente passieren aus dem Nichts. Mehrmals habe ich mich gefragt, warum jemand gerade macht was er oder sie macht und ob ich verpasst habe, weshalb nun dieses oder jenes einfach passiert, als gäbe es darauf nur die übliche Fantasy-Autoren-Ausrede als Antwort: “Da steckt ein Zauberer dahinter.”

Bleibt die Frage zu beantworten, ob The Little Mermaid (Originaltitel) in dieser Fassung nicht wenigstens ein harmloser Zeitvertreib für jüngere Kinder sei, die einfach nur eine schöne Frau mit ihren Fischfreunden singen und den Märchenprinz ihrer Träume küssen sehen wollen. Vielleicht ja bloß als Stream bei Disney+, der mit Sicherheit nicht mehr lange auf sich warten lässt. Liebe Eltern, unterschätzt bitte nicht, wie prägend für den Kunstgeschmack und das ästhetische Bewusstsein eurer Kleinen der Dauerkonsum solch visuell hässlicher Produkte ist!

Und weil die Disney-Zeichentrickvorlage nicht nur optisch, sondern durchaus auch künstlerisch als süßes Märchen mit Happy End und niedlichen sprechenden Meerestieren alles so viel besser macht: Guckt und zeigt den Zeichentrickfilm. Guckt den Zeichentrickfilm. Guckt und zeigt verdammt noch mal bitte nur den Zeichentrickfilm! Das ist besser für euch, für eure Kinder und trägt außerdem dazu bei, dass kommende Generationen vielleicht wieder eher imstande dazu sein werden, Big-Budget-Filmprojekte mit einem Gespür für ein Mindestmaß an Ästhetik, Schönheit und Einfallsreichtum auf die großen Leinwände dieser Welt zu bringen.


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