Letzte Worte zu Book Club 2 & Living
Alte Menschen sind alt, aber altern kann man ja durchaus in Würde. Filme wie Book Club: The Next Chapter halten nicht viel davon. Sie degradieren reife Hollywood-Ladies zu tüdeligen Flachwitzklischees, die auf der Leinwand wie ewig lächelnde Wackelkopffiguren ihrer selbst erscheinen. Parallel dazu läuft im Kino momentan Living. Sehr viel hochwertigere Kost mit Bill Nighy als sterbendem Mann. Die Neufassung von Ikiru sieht im Vergleich zum Kurosawa-Klassiker jedoch gleich doppelt so alt aus wie ihr über 70-jähriger Hauptdarsteller.
Wer sympathische ältere Damen nicht mag, werfe den ersten Stein. Nach diesem Prinzip werden in gewisser Regelmäßigkeit Ensemble-Komödien fürs Kino gestrickt, die es früher nur gerade so ins Fernsehen geschafft hätten. Auffällig häufig spielt dabei in letzter Zeit Jane Fonda mit, flankiert von anderen Hollywood-Bekantheiten fortgeschrittenen Alters wie Diane Keaton, Sally Field oder Lily Tomlin. Großteils tolle Schauspielerinnen. Bloß schauspielern sie hier eigentlich gar nicht, sondern stellen nur so eine Art Wackelkopffigurenkabinett ihrer selbst dar. Immer etwas zu breit lächelnd, immer etwas zu betont gestikulierend. Und meistens so ausgeleuchtet, dass wir jeden Moment damit rechnen, sie würden gleich direkt in die Kamera zu uns sprechen, um ihre Lieblingshautcreme oder was von H&M zu bewerben.
Komödien wie Book Club oder Brady’s Ladies haben auch sonst sehr viel miteinander gemeinsam. Etwa die ständig wiederholten Grundwitze “Älterer Mensch sagt (unbeabsichtigt) etwas über Sex oder wird beim Sex erwischt”, “Älterer Mensch flirtet”, “Älterer Mensch kann mit moderner Technik nicht umgehen” und “Älterer Mensch nimmt (versehentlich) Drogen”… stets nach dem Motto: “Och guck mal, die Oma hat aus Versehen beim Videotelefonat den Kartoffelkopffilter angeschaltet.”
Zuschauer sollen hier über die reine Prämisse der Geschehnisse lachen. Und die heißt meistens: “Haha, Person ist alt und macht oder sagt was, wovon man vielleicht in den 20er Jahren tatsächlich mal sagen konnte, dass alte Leute so was eigentlich niemals sagen oder machen würden.” - Total crazy. Und noch viel verrückter: Den gut konstruierten, vielleicht sogar auch mal etwas cleveren Sketch oder Witz dazu bleiben Filme dieser Art konsequent schuldig.
Selbst über die (eigentlich ja gar nicht vorhandenen) Gags hinaus sehen wir hier Alte-Menschen-Klischeefeuerwerke wie sie uns für gewöhnlich als Eigenproduktionen im Abendprogramm des ZDF begegnen, inzwischen aber eben auch immer regelmäßiger nach ähnlichen Mustern gestrickt aus Hollywood im Kino. Wir sehen etwa Frauen-Rentnergruppen auf Reisen, wo sie auf angenehme (und nicht immer) ältere Gentlemen treffen, meistens auch mal auf einer flotten Party landen, während alles schön langsam und gemächlich vonstatten geht und Hindernisse auch nie zu groß werden, als dass sie sich nicht in Windeseile wie von selbst durch größtmögliche Zufälle, in bestmöglicher Variante in Luft auflösen würden. Hauptsache, das breite Lächeln in den Gesichtern unserer charmanten Omis und Opis kann weiter in hell erleuchtetem Licht verweilen und die Frisur sitzt.
Ich hoffe, ich werde nicht eines Tages während der kritikbedingten Sichtung weiterer solcher Filme vor Langeweile sterben. Vielleicht erreiche ich dann ja selbst mal ein Alter totaler Umnachtung, das die Book-Club-Serie und Erzeugnisse wie Brady’s Ladys mangels geistiger Aufnahmefähigkeit irgendwie egal erträglich macht. “Schwester, bitte erhöhen Sie die Morphium-Dosis, Book Club 25 fängt gleich an.”
Parallel zu Book Club: Das Nächste Kapitel ist Living - Einmal Wirklich Leben in deutschen Kinos gestartet. Ein britisches Drama, von dem ich mit Sicherheit keine Kenntnis genommen hätte, wäre Bill Nighy für seine Rolle darin dieses Jahr nicht für einen Oscar nominiert gewesen. Erwartungsgemäß ist Bill Nighy in diesem Film gar nicht schlecht - aber wann ist er das schon?
Als Oscar-würdig beeindruckend würde ich seine Darbietung hier allerdings auch nicht bezeichnen. Es ist eine typische “Alter Mann spielt einen alten Mann”-Rolle in einem typischen “Alter Mann wird wohl bald sterben, bereut kurz vor Schluss noch sein biederes Beamtenleben”-Film. Eine ereignisarme Mitleidsgeschichte angesiedelt in den 50er-Jahren, optisch hochwertig und dennoch langweilig monoton gefilmt. So vorhersehbar wie geradlinig abgehandelt. Als hätte der Beamte selbst hier die ganz und gar vorschriftsgemäße Inszenierung übernommen.
Dass dies so gar nicht hätte sein müssen, zeigt die frühere Umsetzung derselben zugrundeliegenden Kurzgeschichte, 1952 adaptiert von Akira Kurosawa. Es mag aus heutiger Sicht vielleicht noch stärker so wirken, alleine schon weil Ikiru in Schwarz-Weiß gedreht wurde, doch hat der japanische Großmeister den Stoff mit einer künstlerischen Eindrücklichkeit auf die Leinwand gebracht, gegen die Living wie ein etwas teurerer BBC-Fernsehfilm rüber kommt. Immerhin digital auf Arri Alexa gedreht, farblich gelungen auf klassischen Analogfilm-Look hin bearbeitet.
Zwar ist auch Ikiru filmisch weitestgehend unverschnörkelt und folgt im Kern dem gleichen Plot, jedoch liegt die hohe Kunst hier in effektiver Präzision, die mehr will als nur Stilleben. Wo in den passenden Momenten auch mal klar motivierte Kamerabewegungen oder eine kleine Montagesequenz eingesetzt werden. Kurosawa transportiert vieles in Kamera und Schnitt seines Films, was Living ganz auf die Schultern seiner Protagonisten und ihrer Dialoge abwälzt. Framing und Kulisse sind hier nur dazu da, den Schauspielern einen optisch würdigen Rahmen zu bieten.
Zweifellos, wer einen tollen Bill Nighy sehen und traurig berührt werden möchte, sollte nicht zweimal überlegen und Living im Kino schauen. Wohlwissend, dass sich diese Neufassung von The Death of Ivan Ilyich eben ganz reduziert auf die Hauptfigur und ihr trauriges Schicksal fokussiert, dabei jeden Raum für kurze poetische Momente durch verbale, allzu rational herunter gebrochene Literalität ersetzt.
So kann sich diese neue Version von Regisseur Oliver Hermanus für mich nicht aus der reinen Trauer-Mitgefühls-Ecke heraus bewegen. Wohingegen Kurosawas Klassiker auf viel inspirierendere Weise das späte Wirken seines Protagonisten als versöhnliches Ende und kleinen Sieg über die festgefahrene Monotonie seines vorangegangenen Lebens zelebriert. Mit viel Gefühl, ohne dies aufdringlich plakativ breitzutreten. Dagegen sieht Living von 2023, wie schon eingangs angemerkt, tatsächlich eher alt aus.
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