Filme, die Daniel nicht hasst
"Habt ihr Spaß an Filmen?", fragt unser Stammzuhörer Kai bei Twitter. Marcel Kaets legt uns bei Facebook "andere Hobbys als Kino & Co." ans Herz. Oft fällt in unsere Richtung auch der Begriff "Filmhasser". Mag vielleicht sein, dass wir einfach nicht genug über die Filme reden, die uns zur Abwechslung wirklich begeistert haben.
Dann schalte ich also mal in den "Full Damage Control"-Modus und präsentiere eine kleine Liste wahllos angeordneter Filmperlen, die mir in den letzten Monaten so viel Freude bereitet haben, dass ich die meisten von ihnen sogar mehr als zweimal sah.
Eine spontane Antwort auf die Frage, ob ich heutzutage im Kino alles nur noch blöd finde. Wer es gleich wissen will: Nein. Diese Filme hier sind der Beweis.
The Hateful Eight
Dem letztjährigen Weihnachtswestern von Quentin Tarantino haben wir bereits einen kompletten Patreon-Podcast gewidmet. Das Kammerspiel, das sich nie wie eins einfühlt. The Hateful Eight ist bis zum Ende spannend, immer wieder überraschend und süffisant lustig - dabei spielt er nahezu komplett in einer eingeschneiten Holzhütte und bietet die meiste Zeit über nur pure Dialoge. Natürlich grandios vorgetragen von Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh & Co. - ja selbst der vom Suff gezeichnete Michael Madsen passt wie das Kaubonbon ins Süßigkeitenglas. Brutal geballert wird hier und da ja auch noch, aber das sind sogar nicht mal die stärksten Momente von The Hateful Eight. Wer bei Tarantino-Filmen schon immer die Unterhaltungen zwischen markanten Charakteren am meisten mochte, hat hier vielleicht sogar seinen neuen Lieblingsfilm gefunden. Alles noch veredelt vom heutzutage fast schon einmalig gewordenen 70mm-Analog-Format.
Nightcrawler
Sein Blick, seine Art zu reden, sein fanatisches Vorgehen und fehlende Skrupel - im Prinzip spielt Jake Gyllenhaal hier eine gelungene Wiedergeburt von Christian Bales Rolle in American Psycho. Nur ist er in Nightcrawler kein Mörder und auch kein Träumer, sondern "nur" ein Ethikbefreiter Sensationsjournalist im Mord- und Unfallmetier. Das ist beinahe schrecklicher, auf jeden Fall aber noch packender als die Verfilmung von Robert Blochs Gesellschaftskritik im Slasher-Gewand. Auch bei Nightcrawler handelt es sich im Prinzip um einen Horrorfilm, mitten in unserer gegenwärtigen Realität. Sich gut vorstellen zu können, dass es Leute wie Louis Bloom tatsächlich da draußen gibt, macht die Geschichte besonders gruselig.
Ex Machina
Eigentlich wieder ein Kammerspiel, nur ist die Kammer hier ein hochmoderner Wohnkomplex. - Immer wenn man meint, das Thema Roboter wäre inzwischen ausgereizt, kommt wieder ein toller Roboterfilm um die Ecke. Ex Machina ist ein solcher. Das Regiedebüt von Drehbuch-Meister Alex Garland steigert sich vom harmlosen Turing-Test zum verstörenden Psychothriller in totaler Isolation Alicia Vikander, Domhnall Gleeson und Oscar Isaac treffen hier als drei sehr unterschiedliche Figuren aufeinander und schnell ist nicht mehr ganz klar, wer eigentlich wen auf die Probe stellt. Aber nicht nur das Drehbuch ist top, auch das Art Design sowie ein makelloser Mix aus CGI, Vikanders realer Performance und echten Sets machen Ex Machina zu einem der besten Science-Fiction-Filme seit langem. Aufgrund einer einzigen Szene ist dies übrigens auch gleichzeitig der beste Tanzfilm seit Jahren.
Knight of Cups
Viele Menschen, deren Meinung ich in der Regel schätze und oft teile, kriegen bei Terrence Malick spontan Würgereiz. Mich dagegen fangen die filmischen Gedichte mit schwebender Kamera und transzendenten Ausflügen ins spirituelle jedes Mal aufs Neue. Ganz besonders The Tree of Life und Knight of Cups habe ich schon mal in der Dauerschleife immer wieder laufen lassen - dabei tatsächlich auch wirklich mehrmals hintereinander geguckt. Die klassische Musik lädt ohnehin zum Meditieren ein - wozu also einer dramatischen Handlung oder pausenlosen Dialogen folgen? Loslassen, ist meine Empfehlung. Andere Leute kaufen CDs mit Walgeräuschen, lassen DVD-Kaminfeuer auf dem Fernseher flackern oder sich Gedichte in Audiobook-Form vorlesen. Ich gucke eben Malick.
Before Night Falls
Die Biografie des homosexuellen Autors Reinaldo Arenas - von seiner Kindheit, über Erlebnisse in Fidel Castros kubanischer Revolution bis zum Ende seines Lebens danach in New York. Die besten Filme klingen auf dem Papier oft nicht ganz so besonders wie sie sind, aber das zeigt ja ihre Qualität. Sie müssen erst mal Film sein, um als Film vorstellbar zu werden und ihr Potenzial in dieser sehr speziellen Darstellungsform auszubreiten. Der in erster Linie als Maler bekannt gewordene Julian Schnabel (siehe auch unbedingt Schmetterling & Taucherglocke) ging an den Stoff auf eine kunstvolle Art heran, ohne den Sinn für die Realität zu verlieren.
Kamera, Schnitt und Musik lassen das Leben Arenas wie einen packenden, manchmal sehr sprunghaften Traum wirken, während Javier Bardems klischeelos-sensibles Schauspiel die surreale Atmosphäre in wirklich erlebte Perspektive rückt. Man muss sich nicht einmal für Castros Revolution, die Arbeiten der Hauptfigur oder Poesie an sich interessieren, um die Energie dieses Meisterwerks spüren zu können. Wahre Filmmagie ganz ohne CGI-Effekte.
Geheimtipp außerdem für alle, die Sean Penn schon immer mal in einer spanischsprachigen Nebenrolle sehen wollten.
The Neon Demon
Ein Horrorfilm ohne Monster, denn das Monster ist die Schönheit und was sie aus Menschen macht. Aus denen, die sie haben. Aus denen, die sie haben oder zerstören wollen. Und er sagt ziemlich geradeaus, was schön ist, wer schön ist, dass Schönheit natürlich nicht von innen kommt - jedenfalls in der Modewelt von Los Angeles. The Neon Demon ist gewollt oberflächlich, das hat Die Filmanalyse bei Youtube bereits außerordentlich treffend dargelegt. Er ist das mit so einem Hang zum Exzess, dass eine faszinierende Intensität entsteht, die ihrerseits wieder Tiefe entwickelt. Wegen dieser Wirkung alleine habe ich The Neon Demon in kürzester Zeit wiederholt im Kino gesehen und erst beim zweiten Mal ist mir aufgefallen, wie viele clevere Details in Bezug auf das Ende bereits am Anfang des Films versteckt sind. Wie von Regisseur Nicolas Winding Refn gewohnt, reicht eigentlich schon der hypnotisierende Soundtrack, um sich stundenlang in Trance zu begeben und danach trotzdem irgendwie angespannt zu sein. Da bietet sich doch an, gleich noch einen Malick hinterher zu schieben (siehe oben).
Nymphomaniac Vol. I & II
Ich weiß nicht, ob ich mehr enttäuscht darüber oder beeindruckt davon bin, dass all die sehr expliziten Sexszenen beider Nymphomaniac-Filme mit Computereffekten, Prothesen und digitalem Körperdouble-Austausch erschaffen wurden. Bevor ich Interviews und Making-ofs gesehen hatte, war die Illusion im Kino so perfekt, dass ich (beinahe) glaubte, den ersten Hardcore-Porno mit tiefgründiger Handlung, fantasievoller Bildsprache und erstklassigen Schauspielern gesehen zu haben. Was bleibt, ist ein immer noch grandios schamloses Werk des Lars von Trier, der Tabuthemen seit jeher schonungslos wahr, psychologisch facettenreich und filmisch individuell auf die Leinwand bringt. Interessant auch, wie sich in Nymphomaniac Vol. I & II im wesentlichen die beiden ebenso tollen Vorwerke Melancholia und Antichrist wiederfinden, als hätte Lars von Trier seine im Prozess dieser Filme gewonnen Erkenntnisse zu einer neuen Geschichte geformt. In allen drei genannten zu bestaunen: Die Leidensfähigkeit der Charlotte Gainsbourg.
Synecdoche, New York
Charlie Kaufmans Regie-Debüt / Box-Office-Debakel. Wohl auch einer der besten ungesehenen Filme aller Zeiten. Nachdem ich "Synecdoche, New York" zum ersten Mal sah, liefen zuerst die Credits komplett durch, dann die Blu-ray-Menümusik in Endlosschleife. Ich starrte nur den Fernseher an und versuchte irgendwie einzuordnen, was es da alles zu verarbeiten gab. Während ich berührt war, während ich mich vom Film verstanden fühlte, während ich den Film noch nicht ganz verstanden hatte. Layers, Layers, Layers. Und dann sah ich ihn noch mal, wieder irgendwie anders. Und dann sah ich eine extrem detaillierte Video-Analyse und war verblüfft, was ich auch nach drei mal gucken alles noch gar nicht gesehen hatte. Es folgte ein Charlie-Kaufman-Interview-Marathon. Das Puzzle dieses Films ist noch immer nicht ganz komplett, aber muss es das sein? Kann es das? Soll es? Als Konstrukt, dass das gesellschaftliche Menschenleben mit allen Facetten widerspiegelt und deswegen auch immer wieder ein wenig anders aussieht, je nachdem an welchem Punkt in seinem eigenen Leben man gerade steht. Roger Ebert dazu im O-Ton: "It will open to confused audiences and live indefinitely."
Kingsman
Muss ich zu Kingsman noch ein Wort verlieren? Hat die Anfangszeit unseres Letzten Podcasts mitgeprägt, aus einem ganz entscheidenden Grund: Er hat uns ziemlich unerwartet sehr positiv überrascht. Alex und ich waren beide schon im Vorfeld Fans von Matthew Vaughn und das nicht erst seit Kick-Ass. Setting und Trailer ließen allerdings kaum erahnen, was für ein durch und durch gelungener Popcornkino-Spaß da auf uns zu kommen würde. Mainstream done right - gerade weil er den Mut hat, sich nicht in jeder Hinsicht dem vermeintlichen Massengeschmack anzupassen und so viel Raum für originelle, herrlich abgedrehte Ideen gelassen hat.
The Nice Guys
Nach langer Zeit endlich mal wieder ein Shane-Black-Film, der sich auch wie ein von Shane Black geschriebener Film anfühlt. Vorher war ich vor allem Fan der Streifen, für die Black nur das Drehbuch geschrieben hatte. Seit er selber im Regiestuhl Platz nimmt, hat mich Kiss Kiss Bang Bang vielleicht so halb und Iron-Man 3 nur sehr bedingt überzeugt. The Nice Guys (ich sah die englische Originalfassung) ließ mich öfter laut auflachen als manche Vollblutkomödie, ist aber trotz aller Lockerheit immer noch ein durchaus spannender Ermittlerfilm vom alten Schlag. Der Plot strotzt nur so vor verrückten Zufällen und kuriosen "Das darf doch jetzt nicht wahr sein"-Momenten, aber das Schöne daran ist: Die Protagonisten reagieren auch genau so darauf!
Findet Dorie
Die Pressevorführung von Findet Dorie (im Original Dory geschrieben, auch wenn's verwirrend ist) habe ich im Vorhinein mehr als reinen Pflichttermin für den Cinecast wahrgenommen. Den Vorgänger Findet Nemo fand ich schon als Kind nur so ganz nett und der von vielen gefeierte Zoomania hatte mir ja gerade erst vor Augen geführt: Animationsfilme mit Tieren hauen mich einfach nicht vom Hocker. Und dann kam dieser hier und erschlug mich auf dem Hocker zu Brei. Einen Fisch mit Memento-Gedächtnisschwund auf die Suche nach seiner Vergangenheit zu schicken ist eh schon mal eine bessere Ausgangslage als "Fisch ist verschwunden, Fische suchen Fisch".
Was Dorie und Freunde spätestens nach Ankunft in einer Freizeitpark-artigen Forschungseinrichtung für kranke Meerestiere erleben, ist in Teilen eigentlich zu abstrus für eine Findet-Nemo-Fortsetzung; wahrscheinlich gerade deswegen so verdammt erfrischend. Von der Hafennutten-Taube bis zur autistischen Robbe bereiten insbesondere die Randfiguren einen Lacher nach dem anderen, immer mit einer kleinen Portion Mitgefühl als Salz in der Suppe. Das Ende war dann wieder so rührend, dass ich mich auch Wochen später noch dabei ertappt habe, gedanklich hin und wieder in Erinnerung daran zu versinken.
Eigentlich genau der Impact, von dem mir bei anderen Pixar-Filmen immer nur berichtet wurde, den ich aber erst jetzt zum ersten Mal auch selber komplett nachvollziehen kann. Gewiss, weil ich mich hier mit der übergeordneten Message am meisten identifiziere: "Du machst Sachen nicht verkehrt. Du machst sie nur auf deine ganz besondere Dorie-Art, Daniel."
Inherent Vice
Paul Thomas Anderson verfilmt einen Roman von Thomas Pynchon und kaum jemand kann dem Ergebnis folgen. Ich liebe das. Und was sonst erwartet man von einer Hauptfigur, deren Drogentrip-Paranoia eigentlich schon zu Beginn Überhand genommen hat. Setz ihn als Privatermittler im L.A. der 70er auf einen undurchsichtigen Fall an und guck einfach, was er so macht. Als würde man einem Baby zuschauen, das ohne Löffel alleine versucht Brei zu essen. Worum geht's also wirklich? Um jemanden, der echte Schwierigkeiten damit hat, sich selber darauf zu fokussieren, worum es überhaupt geht, der aber trotzdem irgendwie zum Ziel stolpert. Zu welchem auch immer. Ist das nicht wunderbar?
Under The Skin
Ohne genaueres über Under the Skin und seine Hintergründe gewusst zu haben, war mir schon früh klar: Dies ist ein ganz eigenes Filmerlebnis und es lässt sich kaum mit etwas anderem vergleichen. Der Eindruck war so überwältigend, das Pacing und die Art der Erzählung so ab der Norm, dass ich mit der finalen Szene erst richtig sagen konnte, ob ich den Film gut fand oder nicht. Er ging auf. Er ging mit seinem allerletzten Moment einfach grandios auf. Dabei ist er nicht immer leicht zu gucken, stellt den Zuschauer zwischenzeitlich sehr auf die Probe, aber es geht dabei um Authentizität einer fiktiven "Was wäre wenn"-Frage. Echtes Warten, echte Verwirrung, auch das Überfordert sein mit neuen Eindrücken... aus der Sicht eines außerirdischen Wesens, das als Mensch getarnt einen mysteriösen Auftrag erfüllen soll. Im Nachhinein von der unkonventionellen Machart und dem langjährigen Prozess hinter dem Projekt zu erfahren, ist dann als Bonus noch mal mindestens genau so spannend!
An dieser Stelle muss ich mich nun leider bremsen. Obwohl mir noch etliche Filme der letzten Monate und Jahre einfallen, die es verdient hätten hier gelistet zu werden. Wie ich eingangs jedoch bereits schrieb, soll dies nur eine beispielhafte Auswahl sein, um wirklich ein für allemal klar zu machen: Natürlich mag ich nicht jeden Film.
Und doch liebe ich Filme.