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Letzte Worte zu Fast & Furious 10

In 141 Minuten um die halbe Welt und irgendwie doch nur im Kreis. Redundanz und Infantilität in Dauerschleife sind nach elf Filmen längst Markenzeichen von Fast & Furious. Dies zu Recht blöd zu finden, ist inzwischen genauso langweilig wie die Reihe selbst. Schockiert hat mich Teil zehn dennoch.

Originalbild: Fast & Furious 10 / © Universal Pictures (2023)

Wir hatten gerade unseren Filmkritik-Podcast über Fast & Furious 10 aufgenommen, als ich bei der Zusammenstellung der Videos für unsere Shownotes aus dem Staunen nicht mehr heraus kam. Ich sah Sequenzen aus Actionszenen, die mich erst am Vortag im Kino kalt gelassen hatten, die ich für größtenteils komplett am Computer entstanden hielt und deren Restfunke Authentizität ins grotesk Absurde abgedriftet schien.

Diese selben Momente sah ich nun erneut und war elektrisiert. Was ich dort von Fast & Furious 10 sah, war hochspannend inszeniert, spektakulär authentisch dargestellt und beeindruckend gefährlich gefilmt. Es war alles, was die Macher uns immer als Actionkino in ihrem Franchise versprechen, allerdings schon sehr lange nicht mehr auf der großen Leinwand abgeliefert haben. Zumindest nicht so.

Oder haben sie es doch, wir konnten es nur nicht mehr erkennen? Weil es vergraben wurde, unter Schichten digitalen Make-Ups, unvorteilhaft eingefangen aus viel zu schnell wechselnden Kamerawinkeln, zuzüglich der obligatorischen Drohnenflüge und künstlich reinkopiert wirkenden Close-Ups der Schauspieler am Lenkrad? Um jede Energie beraubt, durch fehlendes Gefühl für Timing und Tempo in der Post-Produktion? Ich gehe davon aus, ihr habt die aus reiner Formalität gesetzten Fragezeichen beim Lesen schon mal vorsorglich weggelassen.

Was im unten eingebetteten Behind-the-Scenes-Video gezeigt wird, kam so auch im Film vor. Aber eben nicht so, wie wir es hier in rohster Klarheit betrachten können.

Realer Materialverschleiß, echte Stuntleute mittendrin, keine Tricks mit Miniaturen oder falschen Hintergründen. Gefilmt in Rom an Ort und Stelle, in Lebensgröße - the real deal.

Was fehlt dabei überhaupt nicht? Verkünstelte “Blockbuster”-Farbbearbeitung, digitale Weichzeichner, hinzugefügte CGI-Elemente und schnelle Wechsel zwischen einer Vielzahl unterschiedlicher Kameraperspektiven, von denen keine im richtigen Moment den vorteilhaftesten Blick auf das Wahrhaftige am Spektakel bietet.

Ohnehin schon verwirrt vom kompletten Durcheinander der ganzen Szene und ihrer besoffen machenden Komposition, erleben wir den Aufprall einer riesigen Stahlkugel auf einen voll besetzten Stadtbus im Kino wie einen Querschnitt von Innen aus dem Bus heraus. Kameragewackel. Menschen, die erschrocken aus ihren Sitzen springen. In einem anderen Film hätte dies aus Gründen der Immersion oder mit Bezug zum Plot ja durchaus Sinn machen können. Aber in einem Fast & Furious, dessen Hauptargument packende, ausufernde Action sein will, muss ich dem Publikum doch primär das volle Ausmaß der Zerstörung zeigen.

Da muss ich doch schön lange auf einem Master Shot drauf bleiben, der alle unglaublichen Stärken der dort aufgefahrenen Produktion voll zur Wirkung bringt. Die reale Romkulisse. Den realen kompletten Bus in voller Größe. Den realen Impact des Aufpralls in vollen Zügen. Zusätzliche Perspektiven können dann immer noch Beiwerk bieten, Details ergänzen, Dynamik erzeugen, Übergänge schaffen. Dieser eine wichtige Money Shot jedoch, der muss in einem solchen Moment einfach sitzen und Eindruck hinterlassen dürfen.

Den Stunt an sich total marginalisiert auf engstem Raum, nur noch schwerlich erkennbar, hauptsächlich verwackelt aus dem Businneren zu zeigen, anschließend eher unbeholfen sehr schnell wechselnd auf zwei Perspektiven der weiterrollenden Kugel hinter dem Bus zu springen, in der das eigentliche Geschehen verdeckende Statisten durchs Blickfeld rennen und sich beide Kameras ohne erkennbare, sinnvolle filmische Motivation auch noch unabhängig für sich bewegen - das grenzt aus Actionfilmsicht an Verstümmelung. Ein Verwirrspiel. Und fügt sich ein, ins traurige Bild der ewig lauten, stillos hektischen Gesamtinszenierung von Fast & Furious 10.

Wenn wir die fantastischen Making-of-Ausschnitte sehen, wissen wir ohne jeden Zweifel: Dies hätte ein ganz anderes Kaliber von Actionfilm werden können. Einer, bei dem uns im Minutentakt der Atem stockt. Es ist ja nicht so, als hätte Hollywood das nicht auch in Zeiten des digitalen Filmemachens schon ein paar mal sehr gut hinbekommen. Beim Thema Bus fühle ich mich natürlich sofort an The Dark Knight mit seinem legendären Truck-Flip erinnert und auch der neue Batman von letztem Jahr hatte eine bemerkenswerte Verfolgungsjagd zu bieten, die mich selbst beim mehrmaligen Gucken immer wieder erneut begeistert hat. Wohl auch wegen der Energie, die hier zwischen den Charakteren und ihren Fahrzeugen mit filmischen Mitteln aufgebaut wird. Wo Fast & Furious überladen, generisch und durcheinander wirkt, ist The Batman im Vergleich handwerklich erfrischend reduziert, atmosphärisch und fokussiert, aber nicht minder spektakulär im Ergebnis. Also hocheffektiv.

Was Top Gun: Maverick erfolgreich bis auf die Leinwand transportieren konnte ist nicht weit weg von dem, was das Team hinter Fast & Furious 10 offensichtlich bei den Dreharbeiten geleistet, per weiterem Prozess in der Nachbearbeitung und im Schnitt dann allerdings völlig unkenntlich gemacht hat. Von Quentin Tarantinos Death Proof sollte ich als Vergleich besser gar nicht erst anfangen.

Die Kugelsequenz steht nur sinnbildlich für zahlreiche verunglückte Szenen aus Fast & Furious 10. Der wiederum ist mit seinen handwerklichen Verfehlungen keineswegs Einzeltäter im modernen Big-Budget-Actionfilm-Segment. Dabei mangelt es den großen Studios weder an Produktionsgeld, noch an Kassenerfolgen, Lust auf komplexe Dreharbeiten oder Verständnis für den Wert möglichst “practical” realisierter Effekte, wie Behind-the-Scenes-Clips ein ums andere Mal enthüllen.

Wahrscheinlich hätte ich vor einer Weile sogar noch ein paar kluge Vermutungen darüber parat gehabt, was denn nun die Gründe für die - in meinen Augen - irrsinnige Degradierung des mit immensem Drehaufwand generierten Rohmaterials sein könnten. Erkennen kreative Entscheidungsträger etwa wirklich nicht, was sie da teilweise für fantastisches Potenzial mutwillig ruinieren? Und falls sie tatsächlich glauben, das heutige Publikum ziehe künstlich wirkende Bilder mit viel Hektik und Videospiel-Ästhetik vor, warum dann nicht gleich konsequent alles nur noch animieren?

Es ist mir spätestens seit Fast & Furious 10 ein absolutes Rätsel. Ein trauriges noch dazu.


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